Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
 

Lösung Übungsfall 5: "Einkaufen im Internet"

Einkaufen im Internet

Lösungsskizze:

I. Ermittlung der Sach- und Rechtsziele:

Frau A möchte die in Rechnung gestellten EUR 200,00 nicht zahlen. Es ist daher zunächst zu

prüfen, ob gegen sie eine entsprechende Forderung besteht. Ferner ist für sie ebenfalls von Interesse, ob Ansprüche gegen ihren Sohn Jonas (J) begründet sind. Vermag das Kaufhaus Mirakel (M) nach der bestehenden Rechtslage Zahlung verlangen, gilt zu überlegen, ob der Anspruch durch Ausübung eines Gestaltungsrechts vernichtet werden kann.

II. Ermittlung der bestehenden Rechtslage:

1. Anspruch des M gegen A auf Zahlung des Kaufpreises von EUR 200,00 aus § 433 Abs. 2 BGB

a) Anspruch entstanden

Voraussetzung für einen Anspruch von M gegen A aus § 433 Abs. 2 BGB ist zunächst, dass zwischen beiden Parteien ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist. Ein Kaufvertrag kommt zustande durch Antrag und Annahme. Beides sind empfangsbedürftige Willenserklärungen.

aa) Antrag der A

(1) Unmittelbar haben sich M und A nicht über den Abschluss eines Kaufvertrages geeinigt. J könnte jedoch bei der Bestellung des CD-Players sowie der CD´s mit Wirkung für und gegen seine Mutter gehandelt haben, § 164 Abs. 1 und Abs. 3 BGB. Die beschränkte Geschäftsfähigkeit des J (§ 106 BGB) steht einer wirksamen Vertretung nicht entgegen, § 165 BGB.

(2) J hat jedoch nach dem Sachverhalt seine Erklärung nicht im Namen seiner Mutter abgegeben, sondern unter fremden Namen gehandelt. In diesen Fällen ist fraglich, ob die Erklärung für denjenigen wirkt, der sie abgegeben hat oder für den echten Namensträger. Abzustellen ist auf die Sicht des Erklärungsgegners. Kommt es dem Geschäftspartner auf die Person des wirklich Handelnden an, liegt ein Fall der bloßen Namenstäuschung vor. Der Name hat für ihn keine Bedeutung und führt bei ihm nicht zu falschen Identitätsvorstellungen. Das Geschäft kommt mit dem unmittelbar Handelnden zustande. Beispiele sind etwa Bargeschäfte, Beherbergungsverträge mit einem Hotel, Auftreten des Handelnden unter Allerwelts- oder Phantasienamen.

Will der Geschäftspartner gerade mit dem Namensträger einen Vertrag abschließen, so liegt eine Identitätstäuschung vor. Das Geschäft kommt nicht mit dem Handelnden persönlich zustande. Ob der Namensträger berechtigt und verpflichtet wird, richtet sich in diesen Fällen nach §§ 164 ff., §§ 177 ff. BGB (vgl. Palandt/Heinrichs, § 164 Rn. 10 ff.).

Im vorliegenden Fall war es für M gar nicht erkennbar, dass der J und nicht die A das E-Mail abgeschickt hatte. Außerdem bestehen mit A ständige Geschäftsbeziehungen. Es kommt dem Unternehmen darauf an, nur Bestellungen von solchen Personen zu akzeptieren, die es zum elektronischen Bestellsystem zugelassen hatte, zumal es vorleistet. Sein Interesse ging eindeutig dahin, mit der Namensträgerin selbst das Geschäft abzuschließen. Das Geschäft kommt daher nicht mit dem handelnden J zustande, sondern - bei Vorliegen entsprechender Vertretungsmacht - mit der vertretenen A.

(3) Es kommt daher darauf an, ob J innerhalb einer ihm zustehenden Vertretungsmacht gehandelt hat, also berechtigt war, für seine Mutter einen Kaufvertrag über den CD-Player sowie die CD´s abzuschließen. J ist nach dem Sachverhalt immer wieder zum Kauf von Waren bevollmächtigt worden. Eine Bevollmächtigung zum Ankauf eines CD-Players sowie der CD´s lässt sich daraus jedoch nicht ableiten.

Es könnten aber die Voraussetzungen einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht vorliegen. Eine Duldungsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene das Verhalten des Vertreters kennt, aber in zurechenbarer Weise nichts dagegen unternimmt und der Geschäftspartner in schutzwürdiger Weise auf das Bestehen der Vollmacht vertraut. Die A wusste jedoch nicht, dass J ihren E-Mail-Account nutzen würde, um eigenmächtig Waren zu bestellen. Eine Duldungsvollmacht liegt daher nicht vor.

Von einer Anscheinsvollmacht spricht man, wenn der Vertretene das Auftreten des Dritten zwar nicht kannte, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können, und der Geschäftspartner nach Treu und Glauben von einer Bevollmächtigung ausgehen durfte.

Nach herrschender Auffassung muss sich der Geschäftsherr dann so behandeln lassen, als habe er tatsächlich wirksam Vollmacht erteilt (vgl. Palandt/Heinrichs, § 173 Rn. 14 ff.). Dagegen billigen ihm Teile des Schrifttums nur Ersatz seines Vertrauensschadens aus culpa in contrahendo (§ 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 BGB) zu (vgl. Flume, BGB - AT 2, 3. Auflage 1979, § 49, 4). Folgende Gründe sprechen für die herrschende Auffassung: Zum einen zeigen die §§ 170 ff. BGB, dass Vollmachtswirkungen auch eintreten können, ohne dass dies dem Verpflichtungswillen des Vertretenen entspricht. Zum anderen wird der gutgläubige Geschäftspartner durch die Begrenzung der Haftung auf das negative Interesse nur unzureichend geschützt.

Die von der herrschenden Auffassung entwickelten Grundsätze zur Duldungsvollmacht gelten für das Handeln unter fremden Namen entsprechend, denn auch insoweit muss sich der Vertretene an dem von ihm zurechenbar gesetzten Rechtsschein festhalten lassen (vgl. Larenz/Wolf, BGB AT, 8. Auflage 1997, § 46 Rn. 89). Nach der herrschenden Auffassung kann somit A unter den genannten Voraussetzungen beim Kauf des CD-Players sowie der CD´s von J wirksam berechtigt und verpflichtet worden sein, obwohl sie ihm weder ausdrücklich noch konkludent eine rechtsgeschäftliche Vollmacht erteilt hat.

Fraglich ist, ob die genannten Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind. Zunächst ist zu prüfen, ob das Verhalten des J für die A vorhersehbar war. Dagegen spricht sicherlich, dass J hier offenbar zum ersten Mal die Nutzungsmöglichkeit des E-Mail-Accounts missbraucht hat. Doch kann ein zurechenbarer Rechtsschein auch bestehen, obwohl der Handelnde sich zuvor noch nie ein Überschreiten seiner Befugnis hat zuschulden kommen lassen. Immerhin musste sich die A darüber im klaren sein, dass für ihren 14-jährigen Sohn die Versuchung groß war, auf diesem Weg sich auch Waren für sich selbst zu beschaffen. Überdies hätte sie die unbefugte Nutzung ihres E-Mail-Accounts ganz einfach ausschließen können, wenn sie Benutzername und Passwort für sich behalten hätte (vgl. zu ähnlichen Fällen OLG Köln VersR 1993, 840, 841; OLG Oldenburg NJW 1993, 1400, 1401). Das Risiko eines Missbrauchs war unter diesen Umständen nicht ganz fernliegend. Wenn sie sich ihres Sohnes zur Bestellung von Waren im Internet bedient, muss sie dieses Risiko tragen.

Durch die Verwendung der persönlichen Daten der A entstand für M der Anschein, dass sie selbst die Bestellung aufgegeben habe. Bisher hatte A die auf diesem Wege bestellte Ware auch stets bezahlt. Die Bestellung eines CD-Players sowie CD´s zum Gesamtpreis von EUR 200,00 ist nicht so ungewöhnlich, dass sich hier Zweifel aufdrängen mussten. Für M war nicht zu erkennen, wer die Erklärung tatsächlich abgegeben hatte. Anders wäre es sicherlich gewesen, wenn J selbst im Namen seiner Mutter - ein Handeln unter ihrem Namen wäre unter diesen Umständen kaum denkbar - im Kaufhaus eingekauft hätte. In einem solchen Fall wäre für das Personal ein möglicher Missbrauch eher erkennbar gewesen und hätte zumindest Anlass zum Nachfragen gegeben. M konnte jedoch davon ausgehen, dass der E-Mail-Account der A nur von ihr oder jedenfalls nur mit ihrer Billigung genutzt werden würde.

Die besseren Gründe sprechen insgesamt gesehen dafür, dass A die Erklärung des J über die Grundsätze der Anscheinsvollmacht zuzurechnen sind. Aus Gründen anwaltlicher Vorsicht muss auch davon ausgegangen werden, dass im Falle eines Prozesses sich das Gericht der herrschenden Auffassung anschließt und die Zurechnung einer Willenserklärung über die Konstruktion einer Anscheinsvollmacht bejaht.

bb)Annahme durch M

Den Antrag auf Abschluss des Kaufvertrages hat M durch die umgehende Auftragsbestätigung angenommen. Den Empfang der Erklärung durch J muss sich A ebenfalls zurechnen lassen.

Damit ist ein Anspruch auf Zahlung von EUR 200,00 aus § 433 Abs. 2 BGB entstanden.

b) Voraussetzungen für einen möglichen Wegfall des Anspruchs

Der Anspruch könnte durch einen wirksamen Widerruf der A gemäß § 355 BGB wegfallen.

aa) Widerrufsgrund

Als Widerrufsgründe könnten die Vorschriften über einen Zahlungsaufschub sowie über Fernabsatzgeschäfte in Betracht kommen.

(1) § 499 Abs. 1, § 495 Abs. 1 BGB

Ein Widerrufsrecht der A könnte sich aus § 499 Abs. 1, § 495 Abs. 1 BGB ergeben. Voraussetzung wäre ein entgeltlicher Zahlungsaufschub von mehr als 3 Monaten. Im vorliegenden Fall hat M die Kaufpreiszahlungen jedoch nur bis zum jeweiligen Monatsende gestundet. Außerdem ist nicht ersichtlich, dass hierfür ein Entgelt berechnet wurde. G hat daher kein Widerrufsrecht nach § 499 Abs. 1, § 495 Abs. 1 BGB.

(2) § 312 d BGB

Ein Widerrufsrecht der A könnte sich ferner aus § 312 d BGB ergeben. Dann müsste es sich bei dem Geschäft zwischen M und A um einen Fernabsatzvertrag im Sinne des § 312 b Abs. 1 BGB handeln. Fernabsatzverträge sind Verträge über die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen werden. A ist nach § 13 BGB Verbraucherin, M gemäß § 14 BGB Unternehmer. E-Mails, die vorliegend beim Zustandekommen des Vertrages ausgetauscht worden sind, werden als Fernkommunikationsmittel in § 312 b Abs. 2 BGB ausdrücklich erwähnt. Erforderlich ist des weiteren, dass der Unternehmer den Vertrag im Rahmen eines auf den Fernabsatz angelegten Vertriebssystems geschlossen hat. M hat hier die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen, um über das Internet eingegangene Bestellungen abzuwickeln. Das Gesetz verlangt nicht, dass der Unternehmer seine Geschäfte ausschließlich im Fernabsatz betreibt. Unschädlich ist daher, dass M seine Waren weiterhin auch in seinen Verkaufsräumen anbietet und dort Geschäfte abschließt. Es kommt vielmehr darauf an, dass der konkrete Vertragsschluss mit A im Rahmen des von M eingerichteten Fernabsatzsystems erfolgte.

Vorliegend könnte allerdings der Ausnahmetatbestand des § 312 b Abs. 3 Nr. 5 BGB eingreifen. Danach fallen Verträge über die Lieferung von Lebensmitteln, Getränken und sonstigen Haushaltsgegenständen des täglichen Bedarfs an den Wohnsitz des Verbrauchers im Rahmen häufiger und regelmäßiger Fahrten nicht unter die Regelungen über Fernabsatzgeschäfte. Diese Ausnahmevorschrift dürfte jedoch vorliegend weder für den CD-Player noch die erworbenen CD´s eingreifen. Bei der Bestimmung dessen, was unter "Haushaltsgegenständen des täglichen Bedarfs" zu verstehen ist, muss darauf abgehoben werden, ob der Artikel von einem durchschnittlichen Verbraucher häufig und regelmäßig nachgefragt wird. Dies ist bei einem hochwertigen CD-Player, der dauerhaft genutzt werden soll, sicherlich nicht der Fall. Für CD´s ist diese Voraussetzung hingegen durchaus zu bejahen (vgl. ausdrücklich für CD-ROM´s Palandt/Heinrichs, BGB-E, § 312 b Rn. 15). Allerdings dürfte im vorliegenden Fall die weitere Voraussetzung nicht gegeben sein, wonach derartige Haushaltsgegenstände häufiger und in regelmäßigen Fahrten geliefert werden. Hierzu bedarf es einer Auslieferung, die vom Unternehmer selbst vorgenommen und organisiert wird. Eine Zusendung durch die Post fällt nicht unter den Ausnahmetatbestand der Nr. 5 (vgl. Palandt/Heinrichs a.a.O.). Da es sich bei den Bestellungen bei M in der Regel um singuläre Vorgänge handelt, ist nicht von einer regelmäßigen Belieferung auszugehen.

Der Ausnahmetatbestand des § 312 b Abs. 3 Nr. 5 BGB greift somit nicht ein.

Das Widerrufsrecht der A könnte jedoch gemäß § 312 d Abs. 4 Nr. 2 BGB ausgeschlossen sein. Hiernach besteht kein Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen, wenn Audio- oder Videoaufzeichnungen oder Software geliefert wurden, sofern die gelieferten Datenträger vom Verbraucher entsiegelt worden sind. Im vorliegenden Fall ist im Sachverhalt nicht geschildert, ob die von J bestellten CD´s versiegelt waren und nunmehr von ihm entsiegelt wurden. Hier bedarf es daher einer Nachfrage seitens Rechtsanwalt Winkel, in welcher Form die CD´s versendet wurden. Sollten die CD´s versiegelt gewesen und mittlerweile von J entsiegelt worden sein, so würde grundsätzlich nach der genannten Vorschrift das Widerrufsrecht entfallen (vgl. dazu jedoch nachfolgend noch unter lit. bb)).

bb) Fristgemäße Widerrufserklärung

Der Verbraucher ist an seine Willenserklärung erst dann nicht mehr gebunden, wenn er sie fristgerecht widerrufen hat (§ 355 Abs. 1 Satz 1 BGB). Nach § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB muss der Widerruf keine Begründung enthalten und ist in Textform (§ 126 b BGB) oder durch Rücksendung der Sache gegenüber dem Unternehmer innerhalb von zwei Wochen zu erklären.

Nach dem Sachverhalt hat die A wohl noch keine derartige Widerrufserklärung gegenüber M abgegeben. Hier besteht daher Gestaltungsbedarf, sofern eine fristgemäße Widerrufserklärung noch möglich ist.

Über die Frage, wann die genannte zweiwöchige Widerrufsfrist beginnt, finden sich im Gesetz an verschiedenen Stellen Aussagen. Zunächst regelt § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB, dass die Frist mit dem Zeitpunkt beginnt, zu welchem dem Verbraucher eine deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht, die ihm entsprechend den Erfordernissen des eingesetzten Kommunikationsmittels seine Rechte deutlich macht, in Textform mitgeteilt worden ist, die auch Namen und Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist, und einen Hinweis auf den Fristbeginn und die Ausübung des Widerrufsrechts enthält. Ob im vorliegenden Fall eine derartige ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung seitens M erteilt wurde, ist im Sachverhalt ebenfalls nicht geschildert. Auch hier besteht daher für Rechtsanwalt Winkel Nachfragebedarf bei Frau A. In diesem Zusammenhang ist lediglich der Vollständigkeit halber ergänzend darauf hinzuweisen, dass gemäß § 312 d Abs. 2 letzter Halbsatz BGB im Rahmen von Fernabsatzgeschäften nicht das Erfordernis besteht, dass der Verbraucher die Widerrufsbelehrung gesondert unterschreibt (vgl. § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB).

Sollte sich herausstellen, dass M eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung abgegeben hat, könnte sich gleichwohl eine Verschiebung des Beginns der Widerrufsfrist aus § 312 d Abs. 2 erster Halbsatz BGB ergeben. Hiernach beginnt die Widerrufsfrist abweichend von § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht vor Erfüllung der Informationspflichten gemäß § 312 c Abs. 2 BGB, bei der Lieferung von Waren nicht vor dem Tag ihres Eingangs beim Empfänger. Der Eingang der bestellten Waren, dem CD-Player sowie den CD´s, liegt bereits über zwei Wochen zurück. Vorliegend ist daher die Frage zu klären, ob M seine Informationspflichten gemäß § 312 c Abs. 2 BGB erfüllt hat. Die genannte Vorschrift verweist ihrerseits auf die der Rechtsverordnung nach Artikel 240 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, mithin auf die Verordnung über Informationspflichten nach bürgerlichem Recht (BGB-InfoV). Auch hier besteht daher Aufklärungsbedarf für Rechtsanwalt Winkel. Sofern seine Kanzlei einen eigenen Internetzugang besitzt, besteht für ihn die Möglichkeit, die Erfüllung der genannten Informationspflichten unmittelbar selbst zu überprüfen. Besonderes Augenmerk ist im vorliegenden Fall allerdings auf die Informationspflicht gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 BGB-InfoV zu richten. Hiernach ist der Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher über die Bedingungen, Einzelheiten der Ausübung und Rechtsfolgen des Widerrufs- oder Rückgaberechts sowie über den Ausschluss des Widerrufs- oder Rückgaberechts zu informieren. Oben wurde bereits dargelegt, dass gemäß § 312 d Abs. 4 Nr. 2 grundsätzlich das Widerrufsrecht ausgeschlossen ist bei der Lieferung von Audioaufzeichnungen, soweit diese versiegelt waren und vom Verbraucher entsiegelt wurden. Gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 BGB-InfoV besteht daher für den Unternehmer die Verpflichtung, über diesen Ausschluss des Widerrufsrechts zu informieren. Geschieht dies nicht, so ergibt sich aus § 312 d Abs. 2 erster Halbsatz BGB die Rechtsfolge, dass die Widerrufsfrist wegen nicht vollständiger Erfüllung der Informationspflichten noch nicht beginnt. Streng genommen stellt dies einen gesetzlichen Zirkelschluss dar: Einerseits ordnet das Gesetz an, dass ein Widerrufsrecht in bestimmten Fällen ausgeschlossen ist. Andererseits sieht es vor, dass die Widerrufsfrist von 2 Wochen nicht beginnt, sofern über den Ausschluss des Widerrufsrechts nicht informiert wurde, im Ergebnis also doch ein Widerrufsrecht besteht. Ob der Gesetzgeber tatsächlich diese Konsequenz beabsichtigt hat, ist fraglich. Ein Streitfeld für den gewieften Rechtsanwalt Winkel stellt dies allemal dar.

Der Beginn der Widerrufsfrist könnte jedoch schließlich auch gemäß § 312 e Abs. 3 Satz 2 BGB verschoben sein. Voraussetzung ist zunächst, dass das vorliegende Fernabsatzgeschäft sich zugleich als Geschäft im elektronischen Geschäftsverkehr gemäß § 312 e Abs. 1 BGB darstellt. Bei Internet-Geschäften ist dies zu bejahen. Gemäß § 312 e Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 BGB bestehen für den Unternehmer, der sich zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrages über die Lieferung von Waren über die Erbringung von Dienstleistungen eines Tele- oder Mediendienstes bedient, verschiedene Informationspflichten sowie Gestaltungsvorschriften. Verstößt der Unternehmer gegen eine der genannten Pflichten und steht dem Kunden ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu (vorliegend ist dies aufgrund des Fernabsatzgeschäfts der Fall), beginnt die Widerrufsfrist abweichend von § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht vor Erfüllung der in § 312 e Abs. 1 Satz 1 BGB geregelten Pflichten, § 312 e Abs. 3 Satz 2 BGB. Im vorliegenden Fall hat ausweislich des Sachverhaltes M gegen die Verpflichtung gemäß § 312 e Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB verstoßen, wonach er dem Kunden den Zugang von dessen Bestellung unverzüglich auf elektronischem Wege zu bestätigen hat. Folglich hat im vorliegenden Fall die Widerrufsfrist noch nicht begonnen. Trotz des Ablaufs von mittlerweile drei Wochen ist daher festzustellen, dass A den Vertrag noch rechtzeitig widerrufen kann.

2. Anspruch des M gegen J auf Zahlung des Kaufpreises von EUR 200,00 aus § 179 Abs. 1 BGB

Ein entsprechender Anspruch gegen J scheitert im vorliegenden Fall bereits an § 179 Abs. 3 Satz 2 BGB, da J nur beschränkt geschäftsfähig ist. Darüber hinaus greift eine Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht auch deshalb nicht ein, weil sich vorliegend A das Rechtsgeschäft im Wege der Anscheinsvollmacht zurechnen lassen muss.

3. Ergebnis

M kann nach derzeitiger Rechtslage von A aus § 433 Abs. 2 BGB Zahlung von EUR 200,00 verlangen. A ist jedoch berechtigt, den geschlossenen Vertrag zu widerrufen. Die Widerrufsfrist ist noch nicht abgelaufen. Ansprüche gegen J hat M hingegen nicht.

 

III. Nachfragebedarf, Gestaltungsbedarf und Gestaltungsmöglichkeiten:

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass die A den Widerruf insbesondere deshalb noch rechtzeitig erklären kann, weil M gegen seine Verpflichtungen gemäß § 312 e Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB verstoßen hat. Gleichwohl ist zu empfehlen, dass Rechtsanwalt Winkel zur rechtlichen Absicherung auch weitere Gründe erforscht, die zu einem Verschieben des Beginns der Widerrufsfrist führen könnten, da M möglicherweise doch eine Empfangsbestätigung geschickt hat, die J rechtzeitig abgefangen und gelöscht haben könnte. Es ist daher zu empfehlen, dass Rechtsanwalt Winkel bei A bzw. J nachfragt, ob eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung dem J zur Verfügung gestellt wurde, ob die gelieferten CD´s versiegelt waren und von J mittlerweile entsiegelt wurden und ob M seinen Informationspflichten gemäß § 312 c Abs. 1 BGB nachgekommen ist. Letzteres kann Rechtsanwalt Winkel unter Umständen selbst über seinen eigenen Internetzugang ermitteln.

Da die Widerrufserklärung derzeit noch nicht abgegeben ist, besteht im vorliegenden Fall Gestaltungsbedarf. A ist an den Kaufvertrag erst dann nicht mehr gebunden, wenn sie den Vertrag fristgerecht widerruft. Die Ausübung des Widerrufsrechts ist aus Gründen anwaltlicher Vorsicht auch dann zu empfehlen, wenn man der Rechtsauffassung ist, dass das Institut der Anscheinsvollmacht nicht zu einer Zurechnung der Willenserklärung führen kann.

Für die Form des Widerrufs genügt die Textform (§ 126 b BGB). Zulässig und im vorliegenden Fall besonders naheliegend ist ein Widerruf der A per E-Mail. Die Sachlage verkompliziert sich hingegen, wenn Rechtsanwalt Winkel die Erklärung für A abgeben soll. Hierbei ist die Vorschrift des § 174 Satz 1 BGB zu beachten. Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist hiernach unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Rechtsanwalt Winkel wird den Vertrag daher nicht ohne weiteres per E-Mail namens der A widerrufen können, solange ihm keine Originalvollmacht vorliegt.

Zu beachten ist schließlich, dass das Widerrufsrecht spätestens 6 Monate nach Eingang der Ware beim Empfänger erlischt (§ 355 Abs. 3 BGB). Rechtsanwalt Winkel wird allerdings auch insoweit den sichersten Weg wählen und A empfehlen, sofort den Widerruf zu erklären.

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